Buchkritik: Das gekaufte Web

Das kaufte Web von Michael Firnkes ist einerseits ein sehr gutes Buch, denn Firnkes beschreibt darin kenntnisreich und detailliert, wie das Internet-Business funktioniert. Andererseits ist es aber auch wieder ein sehr dummes Buch, weil Firnkes behauptet, dass es einerseits ein gutes kommerzielles Web gibt, in dem ehrliche SEO (Suchmaschinen-Optimierung) mit lauteren Zwecken betrieben wird und andererseits ein böses gekauftes Web mit gemeiner SEO, in dem manipuliert, betrogen, abgestaubt und gelogen wird. Und dann gibt es noch das richtig gute, das demokratische Web, in dem jeder Nutzer gleichberechtigt teilhaben, sich artikulieren, seine Hobbys und Kontakte pflegen und sich als Teil der großen globalen Webcommunity fühlen kann.

Das ist natürlich Unsinn, denn es gibt nur ein Internet. Und das ist weitgehend demokratisch, denn Demokratie heißt ja eben nicht, dass jeder von uns irgendwie an den wichtigen Entscheidungen, die in unserer Gesellschaft gefällt werden, beteiligt wäre. Demokratie ist das, was in der westlichen Welt als angeblich optimale Staatsform durchgesetzt wird. Demokratie bedeutet, dass wir uns das Politpersonal, das über unsere Köpfe hinweg regiert, bis zu einem gewissen Grade aussuchen können – es heißt aber nicht, was die normalen Menschen, die in so einer Demokratie leben, irgendwas zu melden hätten.

Sie sollen arbeiten gehen, Nachwuchs produzieren, überhaupt zum Bruttosozialprodukt beitragen, Steuern zahlen und konsumieren. Punkt. Demokratie bedeutet weder Wohlstand, noch gleiches Recht für alle. Wer das nicht glaubt, kann ja mal nachsehen, wie weit der Volkswille der Griechen bei den Entscheidungen zur Euro-Rettung eine Rolle spielt oder was die Demokratisierung in den Ländern, durch die vor ein paar Jahren der unter anderem auch vom guten demokratischen Web angefachte arabische Frühling geweht ist, angerichtet hat. Demokratie bedeutet heutzutage vor allem aber auch, in einer Gesellschaft unter kapitalistischen Bedingungen zu leben. Das bedeutet, dass letztlich alles und jedes sich in erster Linie als Geschäftsmodell bewähren muss – und das Internet ist dabei keine Ausnahme.

Der große Boom jener Infrastruktur, die im kalten Krieg erfunden wurde, um im Falle des Falles irgendwie eine Kommunikation aufrecht erhalten zu können, erfolgte nicht, weil irgendwelche wohlmeinenden Menschen sich dachten, dass man damit die Demokratie oder was auch immer voran bringen könnte, sondern weil damit ein Geschäft zu machen war.

Natürlich bleibt, wenn das der Fall ist, auch immer etwas auf der Strecke: Mit dem Erfolg des Amazon-Modells leiden die Einzelhändler vor Ort, durch die kostenlosen Nachrichtenportale wird es für die Zeitungsverlage schwer, ihre kostenpflichtigen Abos unter die Leute zu bringen, weil die Menschen über Facebook, WhatsApp und Co kommunizieren, können die Telekomanbieter nicht mehr so viele Gesprächsminuten verkaufen und versuchen jetzt, den Leuten irgendwelche anderen Dienste anzudrehen, für die sie immer schnellere und teurere Internet-Anschlüsse brauchen. So ist das halt im Wettbewerb. Das Internet funktioniert genau so wie der Rest der Welt.

Die Internet-Nutzer können natürlich bis zu einem gewissen Grad auswählen, was sie auf Facebook liken, bei Amazon bestellen, auf welcher Gratis-Nachrichten-Seite oder welchem Blog sie sich ihre Nachrichten abholen, um sich aufzuregen oder ihr Weltbild zu bestätigen und natürlich können sie auch idealistisch ein Qualitätsmedium mit einem bezahlten Abo unterstützen.

Das geht genauso wie im realen Leben, wo man auch entweder bei Aldi oder Lidl oder eben bei der Bio Company oder bei Butter Lindner einkaufen kann – wenn man nur genug Geld hat, hat man die Wahl. Aber für immer mehr Menschen trifft das nicht zu – sie haben nicht genug Geld, um nicht das billigste oder was sie gratis bekommen konsumieren zu müssen.

Insofern hat es wenig Sinn, gegen die Billig- oder Kostenlos-Mentalität der Leute zu wettern, denn viele würden sich gern mehr leisten, wenn sie es denn könnten. Das ist zwar ein bekannter Reflex, mit dem immer wieder auf miese Verhältnisse in allen möglichen Bereichen reagiert wird, aber er erklärt letztlich nichts und bietet entsprechend keine Abhilfe: Das angeblich segensreiche Funktionieren des Kapitalismus sorgt überall dafür, dass immer billiger und schlechter produziert wird: Bei der Lebensmittelerzeugung, bei der Bekleidung, beim Hausbau und so weiter – überall geht es darum, mit weniger Einsatz von Kapital mehr Profit rauszuholen – auch aus den Menschen, die immer mehr für immer weniger Geld arbeiten müssen.

Deshalb hat es eben auch keinen Sinn, darüber zu lamentieren, dass viele Blogger und Internet-Seiten-Betreiber das tun, was sie tun, um damit Geld zu verdienen, und statt hingebungsvoll gepflegter Qualitätsseiten eben schnell zusammengestrickten Schrott anbieten, der genauso mit Werbung vollgepflastert werden kann. In einer Welt, in der man ohne Geld nicht leben kann, bleibt so etwas logischerweise nicht aus. Es ist nämlich NICHT so, dass wir eine Wahl zwischen einem „freien“ und einem von kommerziellen Interessen beherrschten Internet hätten – diese Wahlmöglichkeit existiert so wenig, wie die Wahl zwischen einem schönen, menschenwürdigen Leben ohne materielle Zwänge und dem Leben, das wir tatsächlich zu führen genötigt werden: Eben den kommerziellen Zwängen einer kapitalistischen Weltordnung unterworfen, ob wir darauf nun Lust haben oder nicht.

Es ist natürlich schön, dass es trotzdem noch eine Menge Menschen gibt, die ohne jedes Gewinninteresse interessante und hochwertige Inhalte ins Internet stellen – aber das ist nun mal die Ausnahme und nicht die Regel. Und wenn man möchte, dass das die Regel wird, muss man die globale Wirtschaftsordnung komplett umkrempeln und dafür sorgen, dass Menschen tatsächlich die Wahl haben, ob sie automatisch produzierte Massenware oder individuell gefertigte Qualitätsprodukte herstellen und konsumieren möchten. Dazu muss man aber nicht einfach Konsumentenbeschimpfung betreiben und an die Moral appellieren, sondern den Kapitalismus abschaffen. Was übrigens nicht nur für die Qualität der Inhalte im Internet besser wäre, sondern für die Menschheit an sich.

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
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3 Antworten zu Buchkritik: Das gekaufte Web

  1. Michael Firnkes schreibt:

    Vielen Dank für die Kritik.

    „Das ist natürlich Unsinn, denn es gibt nur ein Internet. Und das ist weitgehend demokratisch“: Man kann über das, was eine Demokratie ausmacht, streiten. Doch Korruption gehört für mich definitiv nicht zu einer Demokratie. Ebenso wenig die Ausgrenzung kompletter Bevölkerungsschichten vom Spezialwissen einer „digitalen Elite“. Ersteres – die Korruption – ist im Netz sehr weit verbreitet. Ohne dass dies der normalsterbliche Nutzer – für den ich dieses Buch hauptsächlich geschrieben habe – weiß. Dann ist es für mich auch nicht demokratisch, nicht einmal annähernd.

    Technologisch betrachtet gibt es nur das eine Internet. In den Köpfen der Menschen existieren jedoch unterschiedliche Bilder davon, was das Internet ist oder sein sollte. Auch das habe ich versucht, aufzugreifen.

    Und ganz ehrlich: Die meisten, die auf versteckte Werbung zur Finanzierung setzen, machen dies keinesfalls aus einer wirtschaftlichen Not heraus, oder habe ich dich da falsch verstanden? Sondern um ihren Profit zu maximieren (Mir selbst ging es in Teilen genauso). Es sind Profis, die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Im Gegenteil: Sie nehmen anderen die Chance weg, auch von Einnahmen und von einer Umverteilung aus dem Internet zu profitieren (wie auch immer man generell zu dieser Möglichkeit stehen mag). Deswegen halte ich es nicht für „normal“, dass Teile der Netzgesellschaft diesen korrumpierenden Weg gehen.

    • modesty schreibt:

      Das stimmt – in dem Punkt war ich nicht klar: Wer im Internet Geschäfte machen will, macht das nicht unbedingt, weil er keine andere Wahl hat, sondern weil es eine mitunter durchaus angenehme und bequeme Art ist, Geld zu verdienen. Was man, wenn man sich die Welt ansieht, in der wir leben müssen, durchaus verstehen kann: Bei Amazon jeden Tag 20 Kilometer durch Lagerhallen zu hecheln, ist halt auch kein toller Job.

      Und weil wir alle nun mal Geld verdienen müssen, sofern wir es nicht geerbt oder geklaut haben, ist es total verständlich, wenn man sich im Internet einrichtet – wenn ich es richtig verstanden habe, hast du auch ja mal auf diese Weise gar nicht so wenig Geld verdient. Offenbar kannst du dir nun den Luxus leisten, deine einstigen Methoden moralisch zu hinterfragen und dein Geld auf ehrlichere Weise zu verdienen – was ich dir absolut gönne. Aber das gibt dir nicht das Recht, dich moralisch über die, die es eben nicht können oder nicht kapiert haben, zu empören. Das ist der Punkt, der mich provoziert hat, diese Kritik zu schreiben.

      Ich kritisiere diese moralische Empörung – denn die muss man sich nun wirklich leisten können: Warum soll denn ausgerechnet dass Internet eine beschissfreie Zone sein? In jedem Business gibt es schwarze und weiße Schafe – aber besser wäre doch, wenn wir keine Schafe sein müssten, sondern Menschen sein könnten. Egal, welcher Farbe.

      Eine Demokratie, die im Kapitalismus veranstaltet wird, ist immer korrupt. Das ist der Punkt, den man sich einfach mal klar machen muss, und das ist nicht einfach, sondern tut weh. Aber wenn man das einmal kapiert hat, kapiert man auch, warum es kein gutes Internet in einem falschen System geben kann.

      BTW: Insofern gehöre ich zu den verschrobenen Idealisten, die mit ihren individuell durchdachten und wirklich durchdachten, kritischen, aber mit Verlaub: hochwertigen Beiträgen für das idealistische Bloggertum stehen. Denn ich kann mit gutem Gewissen versichern, dass ich keinerlei SEO betreibe und überhaupt keine Gewinninteressen habe, mir geht es allein um die Sache, um das Verständnis. Und in diesem Fall muss ich mich wiederholen: Es kann kein korruptionsfreies Internet geben, weil die herrschende Gesellschaftsordnung das nicht vorsieht. Das ist nicht meine Meinung, sondern ein Fakt. Ich habe sehr lange gebraucht, um das zu begreifen – da haben andere schon viele Jahre dran analysiert und es ist halt so.

      Und deshalb komme ich zu diesem Schluss. Aber das ist nichts Persönliches, im Gegenteil, ich freue mich immer sehr, wenn Menschen sich aufregen. Aber man sollte sich halt klar machen, warum die Dinge so sind wie sie sind.

      • Michael Firnkes schreibt:

        Ok. Verstehe. Ein Punkt jedoch: Es geht mir nicht um eine moralische Empörung, schon gar nicht um eine Überlegenheit. Das wäre vermessen. Ich denke nur, der normalsterbliche Nutzer sollte wissen, welche Methoden im Netz genutzt werden. Dann und nur dann kann er selbst entscheiden, welchen Stellenwert er einer Nachricht beimisst.

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