Konzerthalle oder Asylantenheim

Wer Wind sät wird Sturm ernten – manches, das im alten Testament steht, ist leider wahr, auch wenn ich besser fände, wenn die Menschheit ihren religiösen Wahn ganz gleich welcher Konfession endlich überwinden könnte. Ich wünsche so sehr, sagen zu können, dass ich an die Vernunft glaube, an die Fähigkeit des Menschen, zu denken – aber leider wird so viel Scheiß gedacht und so viel Unvernünftiges getan, dass ich schier verzweifle. Aber das bringt ja auch nichts.

Natürlich ist schrecklich, was in Paris geschehen ist – aber, da muss man sich nichts vor machen – selbstverständlich kann das jederzeit wieder passieren und zwar auch in Berlin. Oder in Hannover. So lange es Verlierer und eine Menge Waffen in der Welt gibt, wird es Terroranschläge geben – genau wie diesen, oder wie die Attentate in London, in Madrid oder in Washington.

Oder in Bagdad, da gibt es besonders viele davon. Oder in Oslo – auch wenn Anders Breivik kein fanatischer IS-Scherge war, sondern ein durchgeknallter Nazi. Das macht letztlich keinen Unterschied: Die Attentate in Paris haben ungefähr genauso viel mit dem Islam zu tun wie das Abfackeln von Flüchtlingsheimen in der deutschen Provinz mit der Verteidigung der westlichen Werte. Es geht darum, denen, die anders drauf sind – erfolgreicher, glücklicher oder einfach nur fehlgeleitet und verachtenswert – eine möglichst deutliche Lektion zu erteilen.

In den USA gibt es das in kleinerem Rahmen doch fast jede Woche – irgendeinen verzweifelten Irren, der mit einer automatischen Waffe in einer Schule, einem Kino oder einem Einkaufszentrum wahllos Leute abknallt. Diesen ganzen Typen ist gemein, dass sie sich im Recht wähnen und sich deshalb zu Herren über Leben und Tod aufschwingen – einmal in ihrem Scheißleben sind sie stärker als alle anderen und bereit, für diesen Augenblick zu sterben: Die meisten Amokläufer legen es drauf an, selbst getötet zu werden. Die Attentäter von Paris haben sich, nachdem sie wahllos Dutzende Menschen getötet haben, selbst in die Luft gesprengt.

Das ist auch genau der Grund, weshalb man so wenig gegen diese Art Terror machen kann: Wer bereit ist, für seine Sache zu sterben, ist praktisch nicht aufzuhalten – da hilft auch eine Vervielfachung der Sicherheitsetats nicht. Wir haben ja gerade wieder vorgeführt bekommen, dass eben die ganze Überwachung, die ohnehin schon stattfindet, eben nicht mehr Sicherheit bringt, sondern nur mehr Angst. Und wenn man an den Grenzen innerhalb Europas wieder alle Fahrzeuge kontrolliert, dann werden potenzielle Terroristen ihre Kalaschnikovs halt wieder im Rucksack über die grüne Grenze tragen – oder sollen künftig alle Grenzen so befestigt werden, wie die berühmte deutsch-deutsche Grenze zu Zeiten des kalten Kriegs?!

Es ist eben nicht möglich, alle Menschen ständig zu kontrollieren – nicht mal alle polizeibekannten Islamisten. Wobei inzwischen sogar deutschen Politikern langsam dämmert, dass auch rechtsradikale Dumpfbacken gefährlich sein können. Aber auch daraus werden garantiert nicht die richtigen Schlüsse gezogen, sondern es wird die nächste Aufrüstungsrunde stattfinden – mehr Überwachung, mehr Polizei, und weil das Geld dafür ja irgendwo eingespart werden muss, wird das wie immer bei denen gespart, die sich eh nicht wehren können, weil sie ohnehin schon Verlierer sind.

Die einzig wirklich wirksame Terrorbekämpfung wäre, weltweit Gesellschaften aufzubauen, in denen es keine Verlierer mehr gibt, in denen niemand mehr so verzweifelt sein muss, dass er lieber stirbt, als dieses Leben noch weiter aushalten zu müssen und bei seinem sinnlosen Märtyrertod noch möglichst viele mitnimmt, die es auch nicht besser haben sollen.

Aber wenn ich mir die Schlagzeilen heute so ansehe, wird natürlich genau das Gegenteil gemacht: Im Namen von Freiheit und Demokratie werden die Länder, die man nun als irgendwie schuldig am islamistischen Terror identifiziert mit noch mehr Gewalt überzogen, noch mehr Verzweifelte werden mit allen Mitteln versuchen, ins vermeintlich gelobte Land zu kommen und noch mehr Verlierer werden zu fanatischen Gegnern der in ihren Augen dekadenten westlichen Spaßgesellschaft, deren arglosen und unverdient glücklichen Mitgliedern man mit Maschinengewehren und Sprengstoffgürteln eine noch brutalere Lektion erteilten muss.

Es ist doch schon lange klar, dass der Krieg gegen den Terror nicht mit Waffen zu gewinnen ist. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, warum die Regierenden der westlichen Welt trotzdem keine andere Lösung finden.

Noch zwei Lesetipps:

Wer den Wind sät

Es ist alles schlimmer geworden

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
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5 Antworten zu Konzerthalle oder Asylantenheim

  1. Hans 64 schreibt:

    Deine Beiträge sind jedesmal ein intellektuelles Erlebnis. Besten Dank dafür.

  2. PeWi schreibt:

    Ganz so stimmt das nicht. Natürlich haben die Anschläge auch etwas mit dem Islam zu tun. Der Islam ist auch eine politische Religion und schon immer eine politische gewesen. Zum Islam gehört nicht nur der Koran als richtungsweisend, sondern auch andere Traktate von Gelehrten. Wir sind die Ungläubigen in deren Augen, die getötet werden können. Dafür gibt es ein perfides Belohnungssystem in einem imaginären Paradies, indem Frauen als Objekte gehandelt und im Namen Gottes zu Huren gemacht werden. Islamimanent ist auch seine Expansion. Einmal islamisches Gebiet darf es eigentlich nie mehr aufgegeben werden (z.B. Spanien) und sollte immer zurückerobert werden. Man höre dazu z.B. marokkanische Gelehrte. Inwieweit diese mittelalterlichen Träume Realität werden, steht auf einem anderen Blatt. Die westliche Welt wird niemals Lösungen finden können, weil die Lösung allein aus den islamischen Ländern kommen muss. Europa hatte im Mittelalter den Augsburger-Religionsfriedens-Vertrag aus bitterer Erfahrung heraus geschlossen. Wenn die islamische Welt nicht zu Ähnlichem kommt, wird es keinen Frieden in Nahost geben. Des Weiteren muss die islamische Welt einen Prozess ähnlich dessen durchmachen, der uns die Aufklärung und die Französische Revolution gebracht hat und damit bürgerliche Freiheiten und die Trennung von Staat und Kirche sowie die Möglichkeit, religionskritische Forschungen praktizieren zu dürfen ohne mit dem Tod bedroht zu werden. Ich zweifle, ob das in absehbarer Zukunft möglich sein wird. Man sehe z.B. in Deutschland, wo sie anders leben könnten, in Parallelwelten die Sharia herrscht und das deutsche Rechtssystem ausgesperrt ist.

  3. KHM schreibt:

    Politik mit Flüchtlingen (GS 4-15)

    Deutsche Drangsale auf dem Weg zur globalisierten Nation

    Der anhaltende Zustrom und die Menge der schon angekommenen Flüchtlinge aus zahlreichen Kriegs- und Armutsregionen der Welt regt Deutschland ziemlich auf. Den Forderungen nach Schließung der Grenzen und Änderung der Asylpraxis, Ausweisung illegal Eingereister oder zumindest Einführung einer Höchstzahl für Einwanderer hält die Bundeskanzlerin seit Monaten ihren Standpunkt entgegen: Eine Abschottung der deutschen Grenzen sei praktisch nicht machbar und politisch nicht erwünscht, der auch von ihr als problematisch erachtete Massenzustrom müsse langfristig, mit den Partnerstaaten in und außerhalb der EU geregelt werden, eine Obergrenze für Zuwanderer könne und wolle sie deshalb derzeit nicht benennen; zumal sie weiterhin der Überzeugung sei, „dass wir das schaffen“.

    I.Von Asylfragen zur Bewältigung des Weltflüchtlingsproblems
    – Ein Grundrecht für alle Fälle
    – Die deutsche Weltflüchtlingsmacht entwickelt Ordnungsbedarf

    II.Die Flüchtlinge im Gastland: „Ein Zustrom, der Deutschland verändern wird!“
    – Merkel: „Wir schaffen das!“ – und beweisen uns damit als mitfühlende und global verantwortliche Nation
    – Seehofer und die CSU: „Die Integrationsfähigkeit der deutschen Gesellschaft nicht überfordern!“
    – Gauck oder die große Frage: „Was ist denn das innere Band, das ein Einwanderungsland zusammenhält?“

    III.Der deutsche Kampf um eine europäische Flüchtlingspolitik
    – Mehr Solidarität mit Deutschland!
    – Ein wenig Unterstützung, Desinteresse und viel Widerstand
    – Ein Symptom für den Zustand Europas
    – Die Drohung gegen die Abweichler: Übernahme von Flüchtlingen und Schutz der Außengrenzen – oder Schluss mit der europäischen Binnenfreiheit

  4. KHM schreibt:

    „Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.“
    (Marx an Ruge, September 1843, MEW 1, 344)

    Man kann

    – die Flüchtlingspolitik, mit der Merkel aus den Verfolgten und Ärmsten der Welt den Stoff für einen imperialistischen Großauftritt Deutschlands in und um Europa macht, als die Bewältigung eines humanitären Problems sehen

    – die TTIP-Verhandlungen, in denen die deutsche Regierung um maximale Freiheiten für europäisches Kapitals auf dem amerikanischen Markt kämpft, als die Preisgabe demokratischer Transparenz beklagen

    – die Millionengehälter deutscher Manager, die für die Steigerung des Börsenwerts der ihnen anvertrauten Aktiengesellschaften bezahlt werden, als ungeheure Ungerechtigkeit ohne jeden realistischen Bezug zu den Löhnen der Beschäftigten anprangern

    – die Armut, die das Kapital mit der immer ertragreicher organisierten Ausnutzung bezahlter Arbeit herstellt, als die schwierige Frage sehen, bei welcher staatlich verfügten Grenze sie anfängt und aufhört

    – die Ukraine, die sich die EU als ihr ausschließliches Einflussgebiet gegen alle Ansprüche Russlands zuschlagen will, als Schuldfrage sehen, mit der Recht und Unrecht verteilt wird

    – die Mietpreise, mit denen Wohnungsbesitzer gemäß marktwirtschaftlicher Regel und politischer Förderung ihr Eigentum so rentabel wie möglich vermehren, als Versagen der Regierung bei der mieterfreundlichen Regulierung des Wohnungsmarkts anklagen

    – die Ausländerfeindschaft, mit der Volksteile ihr Verständnis des großmächtigen Deutschland als angestammte Heimat darin verwurzelter Ureinwohner verteidigen und bewahren wollen, als engstirnigen Nationalismus erledigen, der nicht ins Bild eines weltoffenen Patriotismus passt

    – die AfD, die in ihrer Forderung nach klarer Zurückweisung der Flüchtlinge den unverdächtigen Patriotismus der Heimatliebe auf seine radikale Konsequenz zuspitzt, als rechtsextreme Protestpartei verorten, die in der etablierten Parteienlandschaft keinen Platz hat

    – an Griechenland, das durch eine von deutscher Unnachgiebigkeit angeführte EU auf die kompromisslose Bedienung seiner Schulden zugerichtet wird, einen Mangel europäischer Solidarität ausmachen

    – den US-Wahlkampf, in dem sich alle Versprechen der Kandidaten um die uneinholbare Machtgröße Amerikas drehen, der das Land samt dem ganzen Rest der Welt dienstbar gemacht werden muss, als unwürdiges Schauspiel demokratischer Herrschaftsbestellung abtun

    – usw.

    So oder ähnlich kann man sich die Affären aus der Welt des Kapitalismus und der politischen Macht zurechtlegen. Eine kritische Meinung hat man dann allemal. Ob damit aber die Sache getroffen ist, die da kritisch bedacht wird, wagen wir zu bezweifeln. Denn in der Regel bringen die Bedenken und Einwände nur die idealisierte Überhöhung der Maßstäbe vor, die von Politik und Marktwirtschaft als edle Beweggründe für die Ausübung ihrer Macht reklamiert werden. Und der nächste wie jeder folgende Anlass zur Kritik bieten dann den erneuten Auftakt, den zuständigen Herrschaften gleichermaßen die Verfehlung ihrer eigentlichen Aufgaben vorzurechnen – wie deren Einlösung anzumahnen…

    Wir halten es da lieber mit der oben zitierten Devise des jungen Marx: Rücksichtslosigkeit gegen die herrschenden Verhältnisse, ihre Sachzwänge und geistigen Dogmen ist „die erste Bedingung aller Kritik“.

  5. Das böse »vuvu« hat sich beschwert, daß es hier nicht weitergeht.

    Dieser beschwerde schließe ich mich vollumfänglich an. Punkt.

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