Reallöhne sinken, Sozialmieten explodieren, Hofbräu in Berlin

Jetzt ist es sozusagen amtlich: Der vielbejubelte Aufschwung in den vergangenen beiden Jahren ist an denen, die ihn erarbeitet haben, komplett vorbei gegangen. Obwohl es angeblich einen Fachkräftemangel und weniger Arbeitslose gibt, verdienen die deutschen Arbeitnehmer im Durchschnitt immer weniger. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung veröffentlichte Daten einer noch nicht zugänglichen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die besagt, dass auch die vergleichsweise starken Lohnzuwächse in der Aufschwungzeit den Kaufkraftverlust durch die Inflation nicht ausgleichen. Im Vergleich zum Jahr 2005 verdienen die Leute heute 7,4 Prozent weniger: Betrug der Durchschnittslohn 2005 noch 2087 Euro pro Monat, sind es jetzt nur noch 1941 Euro.

Interessanterweise trifft das sämtliche Gehaltsgruppen: die Besserverdiener müssen genauso Einbußen hinnehmen wie die Geringverdiener, nur bei den mittleren Gehältern ist der Verlust nicht ganz so deutlich. Wobei natürlich auch klar ist, dass es diejenigen, die mit ihrem Gehalt gerade so ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ungleich härter trifft, wenn ihr ohne geringes Gehalt noch geringer wird, während die Preise für alles Lebensnotwendige rasant steigen.

So explodieren in Berlin gerade die Mietpreise für Sozialwohnungen. Damit trifft es hauptsächlich die Mieter, die sich teurere Wohnungen gerade nicht leisten können. Ihnen wird kaum etwas anderes übrig bleiben, als in unattraktive Randlagen zu ziehen, die noch keine Szene für sich entdeckt hat. Und zusätzlich den Gürtel enger zu schnallen. Die Tafeln und Kleiderkammern der Stadt werden jedenfalls noch mehr Zulauf bekommen als bisher.

Die aktuelle Preisexplosion für Sozialwohnungen ist übrigens eine Folge einer Entscheidung des rot-roten Senats von 2003 – es sind nicht immer nur die bösen Gentrifizierer aus Stuttgart, Ulm, London oder Madrid, die die Preise in Berlin verderben. Damals beschloss die Berliner Regierung im Anschluss an die 15-jährige Förderung von Sozialwohnungen keine Anschlussförderung über weitere 15 Jahre zu bezahlen, um den Haushalt zu entlasten. Das ist übrigens nicht nur für die Mieter fatal – auch zahlreiche Eigentümer haben mit einer Förderung über 30 Jahre kalkuiert und stehen nun vor der Pleite. Das wiederum wird die Heuschrecken auf den Plan rufen – die werden die Wohnungen dann günstig aufkaufen, etwas aufhübschen und noch teurer vermieten. Damit wird Berlin endlich globales Metropolen-Niveau erreichen – zumindest, was die Mietpreise angeht.

Damit der Bayer und Geschäftsleute aus Übersee sich in der unwirtlichen Einöde des Brandenburger Brachlands wohlfühlen können, gibt es nun endlich auch ein Hofbräuhaus am Alex. Mit original Münchner Hofbräuhaus-Bier und Personal in authentischer Stammestracht. Und es ist natürlich nicht nur irgendeine Filiale, sondern die größte Gastwirtschaft Europas.

Hofbräuhaus Berlin

Hofbräuhaus München in Berlin

Aber zurück zum desolaten Berliner Landeshaushalt. Der wurde kurz nach der Jahrtausendwende durch die Auswirkungen des Berliner Bankenskandals (über den der CDU-Bürgermeister Eberhard Dieben stürzte) für die nächsten Jahrzehnte ruiniert. Das war quasi die Mutter aller Finanzkrisen, zumindest aus Berliner Sicht. An Berlin kann man also im kleinen Maßstab schon einmal sehen, was jetzt auf Griechenland zukommt.

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
Dieser Beitrag wurde unter einfach nur ärgerlich, Gesellschaft, Politisches, Wirtschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

12 Antworten zu Reallöhne sinken, Sozialmieten explodieren, Hofbräu in Berlin

  1. uhupardo schreibt:

    Sinkende Reallöhne, alle merken es, kaum jemand protestiert. Wo bleibt der Aufschrei? Alle zu viel Angst um den Sklaven-Lohn, alle noch zu satt, zu bequem, was ist es?

    Zehn Prozent der Deutschen besitzen 70 Prozent des Gesamtvermögens. Wollt ihr wirklich so weiter machen? Weiter dazu schweigen?

    Saludos del Uhupardo

    Serie: Der Tag nach dem Crash – Teil 1: Das Bandbreitenmodell

  2. Karl Eduard schreibt:

    Berlin ist pleite, weil die Politiker wiedergewählt werden wollen. Und das klappt am besten mit der Verteilung von Wohltaten.

    @uhupardo

    Richtig, wer von der Arbeit anderer lebt, hat genug Zeit, auf die Straße zu gehen. Dummerweise wächst weder Geld im Bankautomaten, noch Brot im Supermarkt.

  3. uhupardo schreibt:

    Karl Eduard, das ist vollkommen richtig, dazu genau war der Link gedacht. Anklicken, lesen und verstehen müssen Sie das aber schon bitte selbst.

    Serie: Der Tag nach dem Crash – Teil 1: Das Bandbreitenmodell

  4. Lieber uhupardo,

    auch wenn Du dies gesamte blog damit zuspamst: Das mit dem bandbreitenmodell ist schiet!
    Lesen kannste offenbar, mit dem verstehen ist es so eine sache.

    Das bandbreitenmodell ist definitiv keine alternative zu dem, was jetzt läuft. Es tut exakt das, was hier seit menschengedenken praktiziert wird: »Wir machen unseren staat richtig attraktiv fürs kapital!«

    Man kann eine gesellschaft auch völlig anders organisieren als durch privateigentum an produktionsmitteln und lohnarbeit. Überhaupt hat es keinen sinn, leuten, die sich die lebenszeit anderer aneignen, auch noch (steuer)geschenke zu machen!

    Mag sein, daß Du es in ordnung findest (aus welchen gründen auch immer), wenn leute, die die lebenszeit anderer menschen für ihre eigenen interessen mißbrauchen, dafür auch noch belohnt werden.

    Ich sehe das anders.

    • uhupardo schreibt:

      „Man kann eine gesellschaft auch völlig anders organisieren als durch privateigentum an produktionsmitteln und lohnarbeit. “

      Na herrlich! Dann mal her mit dem Modell. bitte, präzise beschrieben und konkret. Statt verbaler Luftblasen. Ich freue mich jederzeit darauf; das ist so gemeint, wie es da steht.

      Saludos del Uhupardo

      • Verbale Luftblasen bietet wohl eher das lustige bandbreitenmodell. Die angeblich präzise »beschreibung« macht es keinesfalls besser. Die leut, die sich damit befasst haben, haben ihre wertvolle lebenszeit verschwendet.

        Stattdessen das geld abschaffen!

  5. uhupardo schreibt:

    Mechthild, „statt dessen das Geld abschaffen“ ist nur eine weitere inhaltsleere Parole. Sie hatten gesagt „Man kann eine gesellschaft auch völlig anders organisieren als durch privateigentum an produktionsmitteln und lohnarbeit“ – und wurden aufgefordert, Ihr Denkmodell konkret zu machen und präzise zu beschreiben. Da Sie dazu offensichtlich nicht in der Lage sind, braucht es kompetentere Gesprächspartner.

    • Lieber Uhupardo,

      bevor man lösungsansätze sucht, sollte man erst einmal den kern des problems erkennen. Beispielsweise wird auf der »bandbreiteninternetseite« beklagt, daß im grunde alle lohnarbeitenden menschen prostituierte sind. Das stimmt, das sehe ich ähnlich, nur ist das nicht das problem, sondern ein symptom eines problems.

      Das problem ist (unter anderem), daß die menschen über das geld von all den brauchbaren dingen, die es gibt, ausgeschlossen sind – sogar von den dingen, die sie lebensnotwendig brauchen. Das bandbreitenmodell ändert nichts an der tatsache, daß es produktionsmittelbesitzer und besitzlose gibt, die im unvereinbaren gegensatz zueinander stehen. Es wird nicht in frage gestellt, weshalb man eigentlich für lebensnotwendiges bezahlen muß und man das nicht einfach so bekommt.

      Weshalb darf einer, der sich z.b. mehr wohnraum angeeignet hat, als er braucht, geld von einem habenichts nehmen, der zufällig wohnraum braucht? Und weil der habenichts niemals von einer bank einen kredit für eine eigentumswohnung bekäme, muß er übers leben weit mehr für seine wohnung bezahlen, als es gekostet hat, sie zu bauen, somit muß der arme teuer kaufen, was der reiche hat. Das ist absurd – das bandbreitenmodell stellt das und andere schweinereien nicht in frage.

      Ein anderes gesellschaftssystem müssen die menschen wollen und sie müssen es selber organisieren – ich bin nicht der große diktator, der hier vorschriften macht, wie die leute leben sollen.

  6. modesty schreibt:

    Die Forderung, das Geld abzuschaffen, ist alles andere als inhaltsleer. Um den Kapitalismus zu überwinden, ist das eine der zentralen Forderungen. Eine andere zentrale Forderung ist es, privates Eigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen. Es braucht natürlich auch ein bisschen Kompetenz, die Tragweite dieser Forderungen zu erkennen: Weil Produktionsmittel in privatem Besitz sind, ist es überhaupt attraktiv, welche zu besitzen. Denn alles, was damit produziert wird, gehört irrerweise dem Unternehmer und nicht den Mitarbeitern, die doch ihre Arbeit, ihre Lebenszeit investiert haben. Das ist die eine Grundlage der ständig stattfindenden Ausbeutung (die sich beispielsweise im sinkenden Reallohn niederschlägt). Hier sehe ich beim BBM nicht, was es an diesem fundamentalen Misstand ändert. Genauso wie es nichts daran ändert, dass vagabundierendes Kapital um die Welt zieht und eine Schneise der Zerstörung hinterlässt. Traurig, dass die Leute sich eine Welt ohne Umsatzmillionen nicht mal vorstellen wollen.

  7. uhupardo schreibt:

    Alles in Ordnung. Es braucht auch nicht viel, um „zentrale Forderungen“ aufzustellen. Davon hat jeder viele, ohne sich jemals um praktikable Umsetzungen kümmern zu müssen. Quod erat demonstrandum.

  8. modesty schreibt:

    Sorry, aber nicht am BBM ist praktikabel in dem Sinne, dass es auch so umgesetzt werden wird. Deshalb lohnt es sich durchaus, noch sehr viel größer zu denken. Ich habe ganz wenige zentrale Forderungen, weil es gar nicht so viele davon gibt, eben weil sie zentral sind. Aber bevor man sich um irgendwelche Umsetzungen kümmert, sollte man wissen, was man fordert und warum. Sonst wird es nämlich nie was.

  9. uhupardo schreibt:

    Gut, die zentralen Forderungen haben Sie ja nun. Konkrete Umsetzung ist Ihnen wahrscheinlich zu anstrengend, das macht viel Arbeit, aber sollten sie eine haben, melden Sie sich einfach wieder. *fin*

Hinterlasse einen Kommentar