Aufstand in Ägypten – geht uns alle an!

Bildung kommt bekanntlich von Bild, und daher kann man aus der gleichnamigen Zeitung immer noch was lernen. So gibt es dort beispielsweise unter der Überschrift aufschlussreichen Überschrift „Krise in Ägypten – Darum gehen uns die Unruhen alle an!“ (ganz schön lang über eine Bild-Überschrift) eine Auflistung der wichtigsten deutschen Unternehmen, die in Ägypten Geschäfte machen. Dazu gehören RWE, Metro, Daimler, VW, BMW, Siemens, Thyssenkrupp und Bayer. Natürlich wird auch darauf hingewiesen, dass der Ölpreis steigt und die Tourismusbranche leidet und man in Israel die Lage in Ägypten mit Sorge betrachtet.

Nicht nur in Israel, möchte ich mal meinen. Aber trotzdem interessant.

Nicht weniger interessant ist auch die Bild-Meldung „Steuerzahler haften für Ägypten-Exporte!“ Darin wird erklärt, dass ein staatlicher Zusammenbruch in Ägypten die deutsche Exportwirtschaft insgesamt empfindlich treffen würde: Für Unternehmer, die in, sagen wir: etwas heikle Länder exportieren, gibt es nämlich vom Staat eine komfortable Rückversicherung, falls die Lage zu brenzlig wird und die Geschäfte nicht wie geplant laufen: So genannte Hermes-Bürgschaften. Diese staatliche Exportkreditversicherung springt ein, wenn die Kohle halt sonst nicht rein kommt.

Laut Bild laufen derzeit folgende Geschäfte in Ägypten mit Rückendeckung durch die deutschen Steuerzahler: Lieferung von Ambulanzfahrzeugen und fahrbaren Kliniken mit einem Volumen von 66 Millionen Euro, Anlagen für die Folienherstellung für 44 Mio Euro, Kräne im Wert von 8 Millionen Euro, Pipeline-Röhren und Medizintechnik für jeweils 6 Millionen Euro. Insgesamt belaufen sich die garantierten Zahlungsverpflichtungen für Kairo auf derzeit 187,4 Millionen Euro. Dazu kommen noch weitere zweistellige Millionenbeträge an Deckungszusagen für Geschäfte, über die noch verhandelt wird.

Insofern verwundert es wenig, dass die Bundesregierung ein gewisses Interesse daran hat, dass Ägypten nicht im Chaos versinkt. Klar, gegen den Euro-Rettungsschirm sind das Peanuts, aber Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Mit der Regierung Mubarak war gut Geschäftemachen, insofern hatten die EU-Länder (und die USA ja sowieso) auch kein Problem mit ihr, auch wenn sie mittlerweile schon mal als autoritär oder gar diktatorisch bezeichnet wird. Jetzt, wo offensichtlich ist, dass die Ägypter von Mubarak die Nase voll haben, werden auch mal Foltervorwürfe oder der vor ewigen Zeiten verhängte Ausnahmezustand erwähnt, die man vorher diplomatisch übersehen hat. Aber solange man einer Regierung Waffen verkaufen kann, will man gar nicht so genau wissen, was sie eigentlich damit macht.

Laut dem Rüstungsbericht der Bundesregierung kaufte Ägypten im Jahr 2009 Waffen im Wert von 77,5 Millionen Euro. Inzwischen (Freitag Mittag) kommt die Meldung, dass die Bundesregierung angesichts der eskalierenden Lage Rüstungsexporte nach Ägypten ausgesetzt habe. Hat ganz schön lange gedauert. Als Beitrag zu Deeskalation kann man das jetzt echt nicht mehr verkaufen. Da wirkt es schon unfreiwillig komisch, dass die Bundesregierung im gleichen Atemzug Berichte zurück weist, nach denen ausrangierte Wasserwerfer aus Deutschland in Kairo zum Einsatz gekommen seien. Als ob das schlimmer sei, als nicht ausrangierte Wasserwerfer gegen deutsche Wutbürger, Hausbesetzer oder sonstige Querulanten einzusetzen.

Demokraten müssen einander doch aushelfen dürfen, wenn die Freiheit in Gefahr ist.

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
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Eine Antwort zu Aufstand in Ägypten – geht uns alle an!

  1. kucaf schreibt:

    Guter Beitrag,
    und letztlich ist es der Bundesregierung egal, welche Diktatur hinter einer Demokratie steht, solange diese im Interesse deutscher Unternehmen agiert. Was hingegen nicht egal ist, sind unberechenbare Vorgänge, wie eben der Widerstand gegen einen lang gehätschelten Alleinherrscher und dessen System, deren Ausgang alles andere als vorhersehbar ist. Und so offenbart sich die eigene Janusköpfigkeit recht gut, vor der Angst, vor dem was geschehen kann. Hier passiert etwas, im Dunstkreis der EU, was man selbst nicht von langer Hand vorbereitet hat, hier agiert das Volk von sich aus, ohne äußeren Anstoß und Unterstützung. So ist es kaum verwunderlich, dass die führenden Kräfte des Westens es mit der Angst zu tun bekommen. Ist nicht einfach, wen ein Volk eigenständig agiert, da kann dann schon mal der Einfluss in der Region schwinden und es gibt viele Regionen in der Welt, wo dieses schon geschehen ist.
    Aber Bild wird schon dafür sorgen, dass sich ein jeder, der darauf zurückgreift, sich eine Meinung bildet, am besten die, welche vorgegeben wird. Da wird der Widerstand als Unruhe definiert, und die Folgen dieser schon mal mit negativen Vorzeichen an die Wand gemalt. Das Böse ist eben immer und überall, besonders, wenn bestehende Verhältnisse praktisch in Frage gestellt werden!
    Ach, nur Sympathie kann ich für diese Art von „Bosheit“ empfinden!

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