Gedanken über Gestriges: Guttigate und Gadaffi

Ich habs ja lange durchgehalten und mich nicht dazu hinreißen lassen, auch noch darüber zu schreiben. Aber der Freiherr von und zu schafft es seit Tagen, das andere Großmaul mit G in den Nachrichten immer wieder zu übertrumpfen. Und das will was heißen, denn Gadaffi gibt bereits seit über 40 Jahren den nützlichen Idioten. Aber der hat sich nicht nur auf sein strahlendes Lächeln und falsche Doktortitel, sondern auf Handfesteres gestützt, die Armee nämlich und den Koran. Das ist seit Jahrzehnten bekannt.

Doch nun ist das Entsetzen darüber, dass Muammar al Gadaffi die Waffen gegen sein eigenes Volk einsetzt, weil es ihn nicht mehr haben will, doch noch größer als das Entsetzen über Guttenberg, der kraft seines Amtes Waffen gegen andere Völker einsetzen lässt – auch wenn diese dafür ab und zu mal einen von „unseren Jungs“ umbringen. Das ist dann wieder so traurig, dass man darüber doch bitte nicht am mühsam und vermutlich nicht mal eigenhändig zusammenkopierten Doktorgrad herummäkeln sollte, den Gutti ohnehin selbst zurückgegeben hat, obwohl er das eigentlich gar nicht konnte. (Seine Uni hat ihm ja den Gefallen getan und nach- oder besser zurückgezogen.) Die toten Soldaten seien schließlich wichtiger als das akademische oder in diesem Fall pseudoakademische Geschreibsel.

Da hat der Noch-Kriegsminister ja irgendwie recht, auch wenn es gleichzeitig wieder von unerträglicher Peinlichkeit ist, dass sich Gutti jetzt auch noch hinter diesen Leichen versteckt. Damit wirkt er ähnlich verzweifelt wie Gadaffi. Wer weiß, welche Leichen Gutti noch im Keller hat.

Für Gadaffi scheint es jetzt jedenfalls eng zu werden. Dass er die Aufstände in seinem Land von seinem Militär niederschlagen ließ, ist auch im Ausland nicht gut angekommen, insbesondere, nachdem in den vergangenen Wochen die Despoten in seinen Nachbarländern dem Druck der öffentlichen Meinung nachgegeben haben und abgehauen sind. Das wäre derzeit das Mittel der Wahl. Aber die Verblendung ist bei Gadaffi wohl so weit fortgeschritten, dass er sich tatsächlich für die Existenzgrundlage von Libyen hält und sich nicht vorstellen kann, wie es ohne ihn jemals existieren könnte. So etwas hat Deutschland ja auch schon mal erlebt und wie das geendet hat, ist bekannt.

Mist, jetzt ist es passiert. Dabei wollte ich Gadaffi gar nicht mit Hitler vergleichen. Wirklich nicht. Ich fand damals im Vorfeld des zweiten Golfkriegs auch die Vergleiche Hitler=Saddam Hussein empörend, weil nicht zutreffend. Obwohl Saddam Hussein gewisslich kein besonders symphatisches Staatsoberhaupt war. Nein, Hitler war da ein ganz anderes Kaliber an Ignoranz und Verblendung. Und, was vor allem anders ist als in Libyen: Die Deutschen sind nicht gegen Hitler aufgestanden, sondern sind für ihn und mit ihm ins Verderben gegangen. Ziemlich viele jedenfalls.

Anders in Libyen, Tunesien, Ägypten: Da gehen Leute in den Tod, weil sie nicht mehr mitmachen wollen. Nun halte ich den Heldentod in keinem Fall für etwas Erstrebenswertes, aber doch für weniger dumm, wenn er gestorben wird, um etwas Besseres in der Zukunft zu erreichen, als um etwas Schlechteres aus der Vergangenheit zu verteidigen. Das bringt mich wiederum zu der Frage, wofür nicht nur Deutsche übrigens gerade in Afghanistan sterben. Vielleicht ist die Lage dort so dermaßen hoffnungslos, weil alle beteiligte Parteien für gestrige Werte kämpfen.

Und wo wir bei gestrigen Werten sind: Nach einer gewissen Schockstarre hat sich nun im akademischen Milieu Entsetzen über Guttenberg und auch über Merkel und die ganze Union breit gemacht. Inzwischen heißt es gar, man könne nur hoffen, dass Gutti nicht nur als Doktor, sondern möglichst schnell auch als Minister zurücktritt, bevor die Intellektuellen im Lande den Glauben an die Politik verlieren würden.

Das wäre natürlich schlimm. Aber: Glauben Intellektuelle an die Politik? Ist Politik wirklich etwas woran man glauben muss? Und nicht etwas, was absolut von dieser Welt ist, also nichts, was geglaubt werden müsste, sondern etwas, das gemacht wird?!

Ein Intellektueller sollte gar nicht glauben, sondern lieber wissen, Fakten sammeln, Urteile abwägen, zu einem Schluss kommen, den wiederum infrage stellen, prüfen, fragen und nochmals prüfen, aber doch nicht glauben! Man sieht ja, was dabei heraus kommt. Dem von und zu Guttenberg hat man geglaubt, dass der als Vollzeitpolitiker und Teilzeitfamilienvater auch noch eine Doktorarbeit mit summa cum laude aus dem Ärmel schüttelt. Der Überprüfung hat der Glaube nicht stand gehalten. Und das ist gut so. Aber das sollte keineswegs auf den wissenschaftlichen Elfenbeinturm beschränkt bleiben. Glauben richtet in der Politik noch viel Schlimmeres an als in der Wissenschaft. Noch glaubt auch ein Gadaffi, dass er gewinnen kann.

Was ein Minister Guttenberg, jetzt auch ohne Doktor, glaubt, will ich gar nicht wissen.

Unvermeidliches Update:

Guttenberg hat heute in einem Anfall plötzlicher Realitätwahrnehmung erwartbare Konsequenzen gezogen und den Rückzug angetreten. Immerhin.

Gadaffi wird den Rückzug freiwillig nicht antreten – die Frage ist aber auch hier, ob das, was danach kommt, denn besser wäre. Vermutlich wird es nicht so sein. Auch ein spinnerter Gadaffi ist für die Libyer ein geringeres Übel als ein langer, blutiger Bürgerkrieg. Hoffentlich halten sich die westlichen Demokraten angesichts der miserablen Erfahrungen mit Irak und Afghanistan jetzt zurück. Militärisches Eingreifen hat es bisher noch immer schlimmer gemacht.

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
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5 Antworten zu Gedanken über Gestriges: Guttigate und Gadaffi

  1. Sepp Aigner schreibt:

    So einfach ist das mit dem Gaddafi nicht, scheint mir, und mit dem Aufstand in Libyen auch nicht. Gaddafi hat zwar in den letzten Jahren (gezwungenermassen) so ziemlich kuschen müssen vor dem Westen. Aber alles in allem ist unter den vierzig Jahren seines Regimes ein Lebensstandard erreicht worden, der nahe an westeuropäischen ist. Mir scheint, dass es jetzt darum geht, dass Libyen vollends zu einer faktischen Kolonie gemacht wird, und dass dazu der Aufstand benutzt wird, was auch immer die Leute, die aufstehen, sich anderes einbilden mögen.
    Wenn die USA und die westeuropäische Meute die Figuren durchkriegt, die dann repräsentieren werden, was sich westliche Demokratie nennt, werden die Leute sehr viel ärmer gemacht werden. Das ist nämlich einer der Zwecke der „Demokratiebewegung“, soweit sie von aussen gesteuert wird – die Erhöhung der Ölrendite mittels Abschaffung des libyschen „Sozialklimbims“.
    Tatsächlich ist Gaddafi der Mann, der aus einer Stammesgesellschaft annähernd eine libyische Nation gemacht hat – die allerdings noch ziemlich brüchig ist, wie sich gerade zeigt.

  2. modesty schreibt:

    Ja, das ist schon richtig, unter den arabischen Herrscherfiguren macht Gadaffi nicht die schlechteste Figur. Ich bin auch extrem skeptisch, wie das mit diesem ganzen „mehr Demokratie“ und „mehr Freiheit“-Gewese da ausgehen wird – die Tunesier, Ägypter und Libyer werden sich vermutlich schon bald die guten Zeiten von vor der „Revolution“ zurück wünschen. Besonders die Libyer. Trotzdem hat sich das System Gadaffi überlebt. Gadaffi hat es zwar geschafft, Libyen voran zu bringen, aber nicht, ein politisches System zu etablieren, das auch ohne ihn existieren könnte.

    Dass es die westlichen Geschäftemacher nervt, dass er seine Bevölkerung nicht dem Weltmarkt zur Verfügung stellen will, liegt auch auf der Hand, deshalb wollen die ihn weg haben. Das Problem ist bleibt aber dasselbe: was passiert, wenn er warum auch immer, weg vom Fenster ist. Darum hat er sich in den letzten Jahrzehnten nicht gekümmert und das fällt ihm jetzt auf die Füße – obwohl es den Libyern vergleichsweise gut geht. Es ist halt nicht so einfach, ein politisches System zu etablieren, das auf Dauer funktioniert.

  3. kucaf schreibt:

    Ist das so, mit dem seit Jahrzehnten bekannten, oder will man uns nur glaubend machen, dass es so wäre? Und einmal davon angesehen, dass Gadaffi in seinem Land geblieben ist, hat er, im Gegensatz zu den vergangenen Herrschern der Nachbarländer, nicht gerade viele Möglichkeiten. Die Grenzen wurden für ihn dicht gemacht und es gab zum Beispiel keine Einladung aus der Bundesrepublik, wie im Falle Mubarak.
    Äpfel sollten nicht mit Birnen verglichen werden, auch wenn der Apfelbaum, neben dem Birnenbaum und die eine oder andere runter gefallende Frucht, nicht ohne Kenntnis zu identifizieren ist.
    So ist zu lesen: „Nun halte ich den Heldentod in keinem Fall für etwas Erstrebenswertes, aber doch für weniger dumm, wenn er gestorben wird, um etwas Besseres in der Zukunft zu erreichen, als um etwas Schlechteres aus der Vergangenheit zu verteidigen.“ Und sicher ist der Heldentod, kein erstrebenswertes Ziel, wobei schon entscheidend ist, wofür gestorben wird. So sollte im Falle Libyen schon geschaut werden, für was die einzelnen Bürgerkriegsparteien eintreten! Und dabei ist es nicht gerade Zukunftsweisend, wenn Hauptaktöhre des Widerstandes Monarchisten sind, welche übrigens öfter den Aufstand schon geprobt hatten. Von der Verquickung Al-Qaidas einmal ganz zu schweigen. In diesem Zusammenhang sei vielleicht noch erwähnt, dass das Durchschnitteinkommen in Libyen sechsmal so hoch wie in Ägypten und viermal so hoch wie in Tunesien ist und annähernt europäisches Niveau hat. Dass Waren des täglichen Bedarfs, des Grundbedarfs, im Preis nach oben begrenzt sind, möchte ich eigentlich nur am Rande erwähnen.
    Letztlich lassen die hier gemachten Aussagen zu Libyen, genau auf das Gegenteil von dem schließen, was an anderer Stelle geschrieben wird. Nämlich „ein Intellektueller sollte gar nicht glauben, sondern lieber wissen, Fakten sammeln, Urteile abwägen, zu einem Schluss kommen, den wiederum infrage stellen, prüfen, fragen und nochmals prüfen, aber doch nicht glauben!“
    Die modernen Tempel unserer Zeit sind die Medien, diese haben dem Willen ihrer Herren zu gehorche und zu verkünden!
    Gruß
    P.S. Könnte es nicht sein, das Guttenberg eigentlich nicht zurückgetreten ist, selbst wenn er diesen Schritt unternommen hat, sondern zurückgenommen wurde, raus aus der Schusslinie, weil er noch gebraucht wird?

  4. modesty schreibt:

    Klar, das kann auch sein.

    Genau wie es sein kann, dass die Lage in Libyen eine ganz andere ist, als man sich hier zusammenreimen soll.

    Es ging ja auch den DDR-Bürgern vergleichsweise gut, insbesondere verglichen mit den anderen Ostblockstaaten. Da waren Grundnahrungsmittel, Mieten, Bildung und Kultur billig und wirklich jeder konnte sich das leisten. Ums Überleben musste sich keiner einen Kopf machen. Aber die DDR-Regierung war trotzdem ungefähr so beliebt wie Gadaffi jetzt. Das Trommelfeuer des Westpropaganda hat natürlich auch gewirkt, genau wie die hochglänzende Werbung für Freiheit und Demokratie…

    • kucaf schreibt:

      Ja, so ist es, nur kommt es letztlich darauf an, von welchem Standpunkt die Vorgänge in der Welt betrachtet werden. Wenn der Standpunkt zum Beispiel, nicht durch die eigenen Interessen bestimmt, sondern durch die Medien, welche im allgemeinem dem Standpunkt ihrer Eigener zu folgen haben, dann kann es schon Probleme geben. In diesem Zusammenhang kann die DDR und deren Untergang sicher ins Feld geführt werden, genau betrachtet sind die Situationen von den Ursachen her aber nicht zu vergleichen. Andere Parallelen gibt es hingegen durchaus. (Aber gerade auch was den Untergang der DDR anbelangt, gibt es noch viel aufzuarbeiten, die Ursachen waren aber andere, als in Libyen, genau wie das historische, ethnische und territoriale Umfeld.)
      Aber egal, wer kann schon sagen, wie die Lage in Libyen genau ist und auch wenn vieles aus dem Medien zu erfahren ist, so kommt es vor allen darauf an, welche Schlüsse gezogen werden. (In der DDR gab es die Ansicht, dass man, um die Wahrheit zu erfahren, zwischen den Zeilen lesen müsse und da ist durchaus etwas dran. Aber ist es in der bundesdeutschen Medienlandschaft heut anders?) Es ist ja nicht so, dass in den Medien gelogen und betrogen wird, das wäre zu einfach und könnte auf Dauer nicht funktionieren. So wird mit Wahrheiten gearbeitet, welche dem eigenen Interesse dienlich sind, Halbwahrheiten, Entstellungen und Verdrehungen sind weitere Bestandteile der Vorgehensweise, wobei auch nicht versäumt wird, sich gelegentlich der verschiedensten Klischees zu bedienen, aber Hauptsächlich wird emotionalisiert.
      August Bebel hat einmal sinngemäß gesagt, wenn dein politischer Gegner dich lobt, dann solltest du darüber nachdenken, was du falsch gemacht hast! Nun wird ja nicht gerade gelobt, aber deswegen muss man doch lange noch nicht in ihren Chor einstimmen! Und ist zum Beispiel von einer Regierung, wie wir sie haben, und welche jüngst erst wieder die Leistungen im Zusammenhang mit Hartz IV für verbesserungswürdig hielt, laut krähte und einen Furz entließ, also die Menschen in diesem Lande mit Repressionen überzieht, zu erwarten, dass sie ernsthaft für die Interessen der Menschen in Libyen eintritt? Da geht es um ganz andere Dinge!
      Übrigens, allein schon der Vergleich, des Verhaltes deutscher Politik, zu den Vorgängen in Ägypten und jetzt in Libyen, spricht eigentlich Bände. Und wo US-amerikanische und europäische Politik, von den Ereignissen in Ägypten und Tunesien überrascht waren, waren sie in Libyen von Anfang an mit dabei! Warum, wieso, weshalb?

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