Totale Demokratie oder warum wählen sinnlos ist

Gestern habe ich vom meinem Bezirksamt Post bekommen. Es teilte mir mit, dass ich am 18. September wieder dabei helfen darf, die Leute für die nächste Regierung auszusuchen. Blöd nur, dass genau die Leute, denen ich zutrauen würde, tatsächlich etwas besser zu machen, NICHT zur Wahl stehen. Denn, das hat sich inzwischen auch herumgesprochen, die Partei-Hanseln und -Greteln sind nicht unbedingt die kompetentesten Köpfe, die das Volk zu bieten hätte. Die kriegen nicht mal eine Doktorarbeit so zusammen kopiert, dass keiner merkt, dass die nur zusammen kopiert ist.

Wobei sicherlich durchaus eine Absicht dahinter steckt, nicht die klügsten Leute an die Macht zu lassen, denn das Sagen haben ja ohnehin Wirtschaftsvertreter und sonstige Lobbyvereine. Die in den vergangenen Jahrzehnten aus purer Menschenfreundlichkeit ganz viele „unabhängige“ Institutionen geschaffen haben, die dem Politpersonal mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Denn diese vielgepriesene demokratische Übung der allgemeinen und freien Wahl, die als Mitbestimmung des Bürgers ausgegeben wird, erschöpft sich darin, eine Stimme abzugeben. Und wenn man die abgegeben hat, hat man nichts mehr zu sagen. Und selbst wenn es mal gelingt, ein Volksbegehren durchzukriegen, siehe Mediaspree versenken
oder Berliner Wassertisch, dann hat das allenfalls Empfehlungscharakter. Niemand sagt, dass sich eine Regierung, und sei sie noch so demokratisch gewählt, an das halten muss, was die Wähler wollen. Tut sie in der Regel auch nicht.

Genau hier liegt das Missverständnis: Dazu ist sie auch gar nicht da. Eine Regierung soll gewährleisten, dass der Staat funktioniert, dass die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten und geltendes Recht durchgesetzt wird, und, klar, dass der Laden läuft. Und damit ist vor allem die Wirtschaft gemeint. Die muss gute Geschäfte machen, Geld verdienen, denn, so langweilig das ist, das ist die Grundlage von allem. Und dann kann man noch überlegen, ob man ein paar Radwege oder lieber Parkplätze baut oder wie man das Geld, das man zur Förderung des Handwerks braucht, am Schulessen einspart.

Ausschnitt aus einem Wahlplakat zu den Berliner Wahlen 2011

Die Wahlen werden nicht ausfallen. Eine Änderung der Verhältnisse schon.

Dabei wird der Wahlzettel immer länger, in diesem Jahr darf man unter 42 (!!!) Angeboten auswählen. Das war zu DDR-Zeiten einfacher, da gab es die SED oder die SED. Das war wirklich übersichtlich. Und einige wenige haben es gewagt, trotzdem nicht für die SED zu sein, obwohl die es mindestens so gut mit ihren Leuten gemeint hat, wie unsere Parteien alle zusammen. Wobei die absurde Wahlveranstaltung in der DDR sehr gut auf den Punkt gebracht hat, was der eigentliche Sinn des Ganzen ist: Die Bürger sollen bestätigen, wie toll sie ihre Regierung finden. Die Realsozialisten waren so blöd, diese Zustimmung zu befehlen. Das sieht nicht sehr demokratisch aus. Und fühlte sich offenbar auch nicht sehr demokratisch an. Die Anhänger der freiheitlich-bürgerlichen Werteordnung sind da viel geschickter: Sie lassen die Leute aus einem reichhaltigen Angebot auswählen – wie das in der Marktwirtschaft üblich ist. Am Ende kommt aber dasselbe heraus: Eine Herrschaft, die regiert, und ein Volk, das regiert wird, diese Herrschaft aber gut finden muss, weil es sich diese ja selbst ausgesucht hat.

Neben den üblichen Verdächtigen, die auch nach der Wahl weiterhin das Sagen haben werden, gibt es dieses Mal so interessante Angebote wie die Bergpartei, die sich als „ÜberPartei“ anpreist, eine Tierschutzpartei (da haben die Grünen wohl nachgelassen), es gibt eine Familienpartei, gleich zwei Senioren-Parteien, die GRAUEN und die GRAUEN PANTHER nämlich, die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands, die Piraten, natürlich auch die Partei an sich, die ganz pluralistisch für „Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ antritt und dann noch jede Menge Vereinigungen, die irgendwas mit „freie“ heißen.

Schließlich fällt auf, dass die Bürger sich vom etablierten Angebot offenbar nicht (mehr) vertreten fühlen. Denn es gibt dann noch jede Menge Parteien, in denen der Begriff „Bürger“ in allen möglichen Kombinationen vor kommt: „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“, „ein Bürgerbestimmtes Berlin“, „Unabhängige – für eine bürgernahe Demokratie“, Bürgerbewegung pro Deutschland“ oder gar eine „Bürgerrechtspartei für mehr Freiheit und Demokratie“ (wie jetzt – NOCH mehr davon?!).

Und obwohl diese Parteien, in denen sich Bürger zusammen tun, weil sie sich von den bürgerlichen Parteien wie SPD, CDU, den Grünen, der FDP und auch den Linken, die seit fast 10 Jahren in Berlin sehr bürgerlich mitregieren, bei jeder Wahl mehr werden, kommt offenbar keiner auf die Idee, dass es vielleicht gar nicht daran liegt, dass ihnen die richtige Partei fehlt, sondern dass der Fehler im System liegen könnte. Auch eine rot-grüne Regierung hat die Bundeswehr in den Krieg geschickt, ein grüner Umweltminister Castortransporte durchgesetzt, eine linke Sozialsenatorin die Sozialetas zusammen gstrichen. So funktioniert Demokratie. Eine Regierung tut, was sie tun muss. Egal wie die Parteien heißen, aus denen sie zusammen gesetzt wird.

Über modesty

Akademisch gebildetes Prekariat. Zeittypische Karriere: anspruchsvolle Ausbildung, langwieriger Berufseinstieg, derzeit anstrengender, aber schlecht bezahlter Job mit unsicherer Perspektive. Vielseitige Interessen, Literatur, Film, Medien, Wissenschaft, Politik, Geschichte, Gesellschaft, Zeitgeschehen. Hält diese Welt keineswegs für die beste aller möglichen, hofft aber, dass sie besser werden kann. Möchte gern im Rahmen der bescheidenen Möglichkeiten dazu beitragen.
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14 Antworten zu Totale Demokratie oder warum wählen sinnlos ist

  1. Parteien gehören eigendlich abgeschafft und statt dessen die umfassende Basisdemokratie eingeführt. Das Internet bietet hier vollkommen neue Möglichkeiten, siehe:

    http://www.piratenpartei.de/node/1178/46500

  2. modesty schreibt:

    nun ja, Wahlwerbung mag ich in meinem Forum eigentlich gar nicht. Mich interessiert aber, wie Basisdemokratie funktionieren soll.

    Wie hält es die Piratenpartei denn mit dem Kapitalismus? Was strebt sie überhaupt für eine Staatsform an? In der Schweiz gibt es auch Basisdemokratie und trotzdem ist das ein durch und durch kapitalistischer Staat mit allen unangenehmen Nebenwirkungen. Herrschaft lässt sich doch nicht einfach weg informieren!

  3. Pingback: Dasselbe in grün: Heute mal Wirtschaftspolitik | Gedanken(v)erbrechen

  4. Pingback: Wahlkampfseife von der SPD | Gedanken(v)erbrechen

  5. Sepp Aigner schreibt:

    „Ich spiel nicht mehr mit – ätsch“ scheint mir die dürftige Konsequenz dessen zu sein, was Du schreibst. Damit machst Du den alternativen Staatsbürger. Die eigenen Interessen zu besehen und sie cool zu verfolgen wäre was anderes.

  6. modesty schreibt:

    Es ist nicht möglich, die eigenen Interessen in einem System zu verfolgen, das den eigenen Interessen entgegengesetzt ist. Das sollten die vergangenen 66 Jahre gezeigt haben. Warum wurde die KPD verboten? Weil sie diesen Staat überwinden wollte. Und das darf nicht sein, so gehen die Spielregeln. Warum werden Linke, die tatsächlich noch links sind, vom Verfassungsschutz beobachtet? Weil dieser Staat eifersüchtig darüber wacht, dass alle Staatsbürger als solche funktionieren. Alternativen sind nicht vorgesehen.

    Was passiert, wenn Parteien wählbar werden, sieht man an den Grünen und an der Linken, die kriegen zwar inzwischen ordentliche Markt- äh, Stimmenanteile, aber da gibt es nicht mehr besonders viel, das besonders grün oder links wäre. Warum sollte man dabei mitspielen wollen? Dieses System kriegst du nie mit einem Marsch durch die Institutionen geknackt. Das ist mittlerweile bewiesen. Die einzige Möglichkeit, die ich derzeit sehe ist, dass immer mehr Leute sich weigern, sich daran zu beteiligen.

  7. Sepp Aigner schreibt:

    Du machst jeden Tag alles mit (ich auch) – und beim Kreuzchenmalen machst Du nicht mit. Das ist schon das ganze „Verweigern“. Aber wenigstens hört es sich heroisch an.

  8. modesty schreibt:

    Ein Kreuzchen zu machen oder nicht hat nichts mit Heroismus zu tun. Das ist Ausdruck meiner Resignation. Nicht, weil ich ein beleidigtes Kind wäre, das nicht mehr mit spielen will, weil es das Spiel nicht versteht und deshalb nicht gewinnen kann, sondern weil ich ein nachdenklicher Erwachsener bin, der einsieht, dass das Spiel nicht zu gewinnen ist – erst recht, wenn man die Regeln kapiert hat.

    Was ist denn nun dein Argument für die Wahlen, bzw. die Beteiligung daran – außer „du machst sonst doch auch jeden Scheiß mit?!“ Das ist ein moralischer Vorwurf, aber kein Argument: Es gibt Dinge, bei denen man tatsächlich keine Wahl hat, jeder muss essen und irgendwo wohnen. Aber nur, weil ich da „mit mache“, weil ich überleben will, heißt das doch nicht, dass ich mich an dem zunehmend lächerlicheren Ritual der demokratischen Wahl von meistenteils ebenfalls lächerlichen Politfiguren beteiligen muss, die eh nicht meine Interessen vertreten. Gerade weil man ständig irgendwo mitmachen muss, ist es um so wichtiger, irgendwo man damit anzufangen, nicht mehr mit zu machen. Mit einem Kreuzchen auf einem Wahlzettel kann ich meine Interessen jedenfalls nicht cool verfolgen.

    Und Programme, die auf nichts anderes hinauslaufen, als den Kapitalismus auch für die Arbeitenden wieder erträglicher zu machen, unterstütze ich nicht. Erst recht weil ich ständig gezwungen bin, bei Sachen mitzumachen, die ich eigentlich unerträglich finde. Natürlich kann man argumentieren, dass der Spatz in der Hand besser als die Taube auf dem Dach sei. Aber umgekehrt kann man auch so viele Kröten schlucken, dass man sich nicht mal mehr daran erinnert, dass es auch was anderes zu fressen gibt.

  9. Sepp Aigner schreibt:

    Ich wollte Dich nicht moralisch anmachen (Hab mich selber ja gleich mitbenannt). „Natürlich“ müssen wir alle nach der Pfeife des Kapitals tanzen, so lange wir dem Kapital seine Pfeife – nämlich sein Eigentum an der Produktionsmitteln und seine politische Macht – nicht wegnehmen.

    Ich seh das aus einem anderen Blickwinkel. – Die Verhältnisse sind nicht einfach so, sachzwangsmässig, „systemisch“. Einerseits sind sie das schon. Aber andererseits können sie bloss bestehen, weil sie von der herrschenden Klasse politisch gesichert werden, durch politische Macht, mit dem Staat als deren Zentrum. Wer etwas gegen die bestehenden Verhältnisse hat, muss gegen diese Macht antreten, eigene Macht aufbauen, die gegnerische Macht besiegen und danach den Laden selber schmeissen. Das ist alles. Weil diejenigen, die für andere arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sich kein anderes Machtmittel schaffen können als dazu geeignete Organisationen, müssen sie eben das tun, wenn sie die Verhältnisse ändern wollen.

    ALLES andere führt zu nichts – „Verweigern“ z. B. oder sich dauernd beklagen, dass die andere Seite so gemein ist. Sich über das, was frustriert, untereinander zu verständigen, ist schon nützlich. Aber bloss, wenn es ein erster Schritt ist, nach dem man einen zweiten tut – sich organisieren.

    Das heruntergebrochen auf den bürgerlichen Demokratiebetrieb: Da gibt es, weil das für die Bourgeoisie die beste Herrschaftsmethode ist, einige Elemente, die für die Arbeitenden günstig sind; z. B. eine gewisse Organisationsfreiheit, eine gewisse Freiheit von Wort und Schrift (deswegen können wir unsere Blogs machen) und andere Rechte, die man nutzen kann. Dazu gehört auch die Wählerei und im Erfolgsfall die Ausübung von Mandaten.

    Das ist gefährlich anfällig für Vereinnahmung, wie die übrigen Rechte auch. Bei der Organisationsfreiheit kommen z.B. auch korrupte und „sozialpartnernde“ Gewerkschafter heraus, bei der Meinungsfreiheit die taz, beim Wählen Mandatare, die als Teil des Herrschaftsapparats fungieren. Aber es kommen auch ordentliche Gewerkschafter heraus, eine junge welt und – in Deutschland leider sehr vereinzelt – kommunistische und manchmal auch andere Mandatare, die in den bürgerlich-parlamentarischen Institutionen wie Partisanen arbeiten, über das Mandat an Informationen kommen können, die wichtig sind, das mit einem Mandat verbundene Ansehen nicht für persönliche Zwecke nutzen, sondern für die Beförderung revolutionärer Umtriebe.

    Solche Möglichkeiten sollte man nutzen. Deswegen meine Polemik gegen das „Verweigern“.

  10. modesty schreibt:

    Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!

    Natürlich hilft das Verweigern an sich nicht. Man muss auch etwas tun. Da hast du natürlich recht. Das kann auch in Gewerkschaften, Verbänden und so weiter sein – Parteien halte ich inzwischen für wenig bis gar nicht geeignet. Denn wie gesagt, wenn eine kommunistische Partei es ernst meint, dann wird sie umgehend verboten. Soweit geht der Pluralismus dann halt doch nicht. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass es nicht mal eine Partei braucht, um verboten zu werden, einigermaßen bekannte und organisierte kommunistische Gruppen stehen sofort unter Generalverdacht und unter Beobachtung vom Verfassungschutz und werden entsprechend infiltriert. Und lösen sich als Schutzmaßnahme für alle Beteiligten gleich selbst auf.

    Deshalb halte ich es unter den herrschenden Umständen für besser, nicht als Partei, Verein oder was immer aufzutreten, sondern möglichst unabhängig und diskret zu agitieren. Mittlerweile kenne ich eine ganze Menge Leute, die das tun. Die organisieren Veranstaltungen, Lesungen, Seminare und so weiter, teilweise an Universitäten, als Gast linker, geduldeter Vereine – da gibt es auch eine Reihe Möglichkeiten, und da gehen dann auch „ganz normale Leute“ hin, und hören sich das an. Und kommen vielleicht auch wieder. Und müssen nicht gleich fürchten, dass sie nun auf irgendwelchen roten Listen stehen. Obwohl das bestimmt trotzdem passieren kann – mag sein, dass ich in dem Punkt ein bisschen paranoid bin, aber kenne Chefs, die schmeißen aus ihrem Laden prinzipiell alle raus, die in einer Gewerkschaft sind. Oder in dieser hippen Branche, in der ich unterwegs bin – bei diesen tollen Medien-Internet-IT-Klitschen, da muss man das Wort Betriebsrat nur mal laut denken, um auf der Mobbing-Liste zu landen. Da muss man schräg und anti und kreativ und unkonventionell sein, so irgendwie-alternativ-links mit Bionade und Club Mate auf dem Schreibtisch, aber auf gar keine Fall linker als das. Ein Kommunist kommt nämlich direkt aus der Steinzeit und kann nichtmal ein Festnetztelefon richtig bedienen.

    Ich verspreche jedenfalls, auf meine Art weiter zu machen – nötig ist auf jeden Fall alles, was geht.

  11. Sepp Aigner schreibt:

    Hi modesty.
    Dein „Arbeitsmilieu“ charakterisierst Du sehr treffend, so weit ich das beurteilen kann. Ich hatte damit mal Berührung, und genau so kam mir das vor.
    Sich mit Theorie beschäftigen und diskutieren finde ich auch wichtig. Aber wenn es dabei bleibt, ist das halt ziemlich folgenlos. Deine Angst ist sicher nicht paranoid, sondern ganz realistisch. Es ist auch niemandem geholfen, wenn sich Leute opfern. Die sind dann bloss das lebende Beispiel dafür, dass man sich besser raus und die Schnauze hält. Die „Kunst“, gerade bis an die Kante des Möglichen zu gehen, aber nicht darüber hinaus, so dass man den Job verliert, ist erlernbar. Dafür z.B. braucht es AUCH Organiserung – um aus den Erfahrungen anderer zu lernen, taktische Winkelzüge auszutüfteln etc. Auf den Theorieabenden, von denen Du (glaub ich) sprichst, lernt man das aber kaum, oder ?

    Noch zu „wenn es eine kommunsitsiche Partei ernst meint, wird sie umgehend verboten“: Nein, so einfach ist das nicht. Verbieten oder legal sein lassen hängt von vielen Erwägungen ab. Man wird der griechischen KKE oder der KP Portugals nicht absprechen können, dass sie es „ernst meinen“. Aber wenn eine Partei Hundertausende Mitglieder/Anhänger hat, ist ein Verbot nicht so einfach.

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